Im Blog „Unsertum“ veröffentlichen wir Gegenstandsgeschichten aus dem wahren Leben
Einst lebte ein armer, beinah bettelarmer Student der Mathematik mit einem Studenten das Faches Lehramt in einer Wohngemeinschaft. Da der Mathe-Student kaum Geld hatte, konnte er sich keine neue Kleidung kaufen. Da der Lehramtsstudierende seinem Mitbewohner helfen wollte, schenkte er ihm mehrere seiner aussortieren Pullis.
Unter anderen DEN Pulli. Ist er aus den 80ern (oder schon aus den 90ern?). Er ist in einem leicht ausgewaschenen Grau. Die komplette Vorderseite verziert das pathetische Bild eines Zauberers mit Spitzhut, langem in der Power wehenden Bart, Zauberkugel und Stock. Um ihn herum strömen epischst mehrere Blitze herum.
Der Mathe-Student freute sich tatsächlich nicht über den Pulli und zog ihn niemals an. Jahre später stand er in engem Kontakt zu einer sehr guten Freundin von mir. Diese Freundin zelebriert seit Jahren das Konzept ihrer Zu-verschenken-Box. Alle, die sie besuchen, sind dazu aufgefordert sich die Zu-verschenken-Box anzusehen. Als Ausnahme erlaubte meine gute Freundin dem Mathematiker auch von ihm aussortierte Dinge in ihre Zu-verschenken-Box zu platzieren. So landete also der besondere Pulli in ihrer Box und in meinen Händen … auf meinem Körper beim Anprobieren. Doch irgendwie fand ich, dass er meine Figur nicht gut betonte. Kurz überlegte ich: „Was soll ich nur mit solch einem Pulli machen? Ich steh voll auf Trash, aber ich würde ihn doch nicht oft anziehen. Vielleicht braucht dieser Pulli einfach eine andere Person.“
Was dann in meinem Kopf geschah, kann ich nicht so genau sagen. Irgendwie entschied ich mich nach ein wenig Überredungen meiner Freundin doch dazu, den besonderen Pulli mitzunehmen. Für irgendwas oder so was mit Kunst würde er sich ja schon verwenden lassen.
Dies alles geschah an einem Freitagabend. Zu meiner Arbeitsschicht am Samstag vergaß ich den Pulli aus meiner Tasche auszupacken. Nach fünf Stunden (Lohn)arbeit war ich zerstört und fertig mit den Nerven aufgrund von entsetzlichen Arbeitsbedingungen durch schlecht umgesetzte Sparmaßnahmen während der Corona-Zeit. Es war die schlimmste Arbeitsschicht, die ich jemals hatte bisher (inklusive Weinanfall). Ich weiß noch, wie ich mir dachte: Heute will ich viel zu viel Alkohol trinken, damit ich auf diese Schicht klarkomme, ich will zum ersten Mal Alkohol nicht aus Spaß, sondern aus Kompensation trinken.
Gedacht und getan – mit dem ersten Kiosk-Hansa in der Hand rief ich einen Arbeitskollegen an. Dieser saß bei einer Arbeitskollegin trinkend auf der Couch. Ich schloss mich an und freute mich auf beide, vor allem aber auch auf die Arbeitskollegin Hilde, die ich schon immer extrem sympathisch fand, aber nie die Gelegenheit hatte, mich ausgiebiger mit ihr zu unterhalten.
Ich kam bei ihr an. Zufällig trug ich an dem Tag einen knallpinken, echt hässlichen, dafür umso unterhaltsameren Jogginghosenzweiteiler aus dem KostNixLaden. Hilde freute sich unfassbar darüber, mich in dieser Kleidung zu sehen. Sie sagte zu mir, dass sie mich gerne ausziehen wollen würde, ihr es egal sei, wenn ich nackt nach Hause gehen müsste durch die Dortmunder Nordstadt und sie einfach nur diesen Anzug haben WILL. Dies verneinte ich. Dann stellte ich meinen Rucksack in ihr Wohnzimmer ab, kramte die zig Flaschen Hansa-Pils aus dem Weg, die irgendwie in meine Tasche gelangt waren. Ich zog den besonderen Pulli hervor und fragte sie während einer feierlichen Handbewegung, ob sie, da sie doch auf Trash steht, den Pulli haben möchte.
Hilde schlug die Hände vor ihr Gesicht. Ich glaube, sie war im ersten Augenblick sprachlos. Plötzlich riss sie mir den Pulli aus den Händen und rannte in ihr Badezimmer. Mein Arbeitskollege sah etwas verwirrt aus. Es erschallten Schreie der Freude durch den Flur. Die Spannung baute sich nur wenige Sekunden auf, bis Hilde aus ihrem Badezimmer jubelnd mit dem übergezogenen Pulli herausstürmte.
Zuerst ließ sich Hilde bewundern, dann hielt sie eine fünf-minütige spontane Rede darüber, wieso sie das Design des besonderen Pullis so sehr liebt. Dabei ging sie erstaunlich tief ins Detail und lobte besonders den leicht dreieckartigen Bildaufbau des Motivs, da die untere, breitere Seite (im Gegensatz zu den meisten anderen Oberteilen mit Aufdruck) exzellent ihre Hüfte betont. Ich muss sagen, dass Hilde damit recht hat und ihr der Pulli ganz ausgezeichnet steht! Ich würde sogar sagen, dass niemand anderes diesen Pulli so sehr mit Würde tragen kann. Und wenn wir es nicht schon vorher getan haben, dann haben wir uns spätestens an diesem Abend erkannt. Noch am selben Abend schworen wir uns unsere gegenseitige, niemals sterbende Liebe.
Hilde und ich waren vorher nur auf Insta connektet. Am nächsten Tag, als ich ihr meine Bilder von dem spontanen Pulli-Modenshooting zusendete, tauschten wir auch Nummern aus. Hilde schreib mir, dass sie den gesamten Tag überall herumgerannt sei und allen bekannten Personen, die sie traf, zurief: „LOOK AT MY PULLI“.
Hilde wusste von diesem Schreibprojekt. In diesem Zusammenhang fragte ich sie, wie denn der Pulli heiße und ich diese Geschichte nennen darf. Mir selbst fiel nur der unkreative Name „Pulli of magic“ ein. Hilde antwortete mir: „Das ist der Pulli of magic friendship! Because u are now my best friend!“